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Folgender Artikel erschien im Jahrbuch Ostprignitz-Ruppin 2005.


Der Fischadler im Altkreis Neuruppin
von Bernd Ewert und Henry Lange
(leicht gekürzte Fassung
)

Großvögel haben seit jeher die Menschen in ihren Bann gezogen. Für Adler trifft dies in ganz besonderem Maße zu.
Aber wer flog da gerade vorbei? See- oder Fischadler? Beide Arten haben etwas mit Wasser zu tun und werden deshalb unbekümmert mit einander verwechselt. Den Adlern ist es freilich egal. Nur der Kenner runzelt die Stirn und fühlt sich geradezu aufgefordert, sein Wissen mitzuteilen.
Im folgenden soll nun vom Fischadler (Pandion haliaẽtus) die Rede sein. Der lateinische Speziesname haliaẽtus bedeutet so viel wie Meeradler. Ebenfalls wie der bei uns heimische Seeadler gehört er allerdings nicht zu den so genannten echten Adlern.

Aussehen und Lebensweise
Dieser elegante, mittelgroße Greifvogel bewohnt in vier Unterarten, mit Ausnahme der Antarktis, alle Kontinente.
Er besitzt mit relativ schmalen, stark gewinkelten Schwingen ein fast möwen-ähnliches Aussehen. Am ehesten können die Tiere mit dem nicht mehr in Deutschland brütenden Schlangenadler (Circaẽtus gallicus) verwechselt werden.
Die Flügelspannweite beträgt bis zu 170 cm. Da der Geschlechtsdimorphismus, d.h. der Größenunterschied zwischen Männchen und Weibchen nicht so stark wie bei vielen anderen Greifvogelarten ausgeprägt ist, lassen sich die Partner nur unter sehr guten Bedingungen, am besten aber im direkten Vergleich bestimmen.


Porträt eines nestjungen Fischadlers
Unsere Fischadler sind im Gegensatz zum Seeadler ausgesprochene Zugvögel, die normalerweise Ende März/Anfang April aus ihrem westafrikanischen Über-winterungsgebiet zurückkehren. Einige Exemplare passen sich aber bereits der allgemeinen Klimaerwärmung an, in dem sie die Flucht vor Frost und Schnee schon in Südspanien (Andalusien) beenden.
Nicht die Kälte macht unseren Adlern zu schaffen, sondern die vereiste Nahrungsquelle.
Wie der Name es treffend verrät, ernährt sich der Fischadler ausnahmslos von den Schuppenträgern. Vor allem Weißfische haben es ihm angetan. Bleie machen hier etwa 66 % aus.
Siewert (1941) errechnete aufgrund sehr sorgfältiger Beobachtungen an einem Brut-paar in der Schorfheide den gesamten Nahrungsbedarf einer Familie mit drei Jungen von der Ankunft bis zum Abflug auf ca. 200 kg Fisch.
Sehr eindrucksvoll sind die Niststätten dieser Adlerart. Sie befinden sich stets im obersten Kronenbereich von hohen Bäumen, so genannten Überhältern. Bei uns in der Region dominiert die Kiefer.
Der Horst, ein kompaktes Gebilde aus stärkeren Knüppeln, kann durchaus die Größe eines Seeadlerhorstes erreichen. Und der ist wirklich gewaltig.
1938 brüteten Fischadler zwischen Angermünde und Templin zum ersten Mal auf einem Stromleitungsmast. Seither ist dies, auch aufgrund des Mangels an geeigneten Bäumen immer häufiger der Fall.

Frisch beringte Dreierbrut
Frühestens Anfang April wird das Gelege gezeitigt. Die Brutdauer beträgt 38 bis 41 Tage. Nochmals bis zu 60 Tage bleiben die Nestlinge im elterlichen Horst.
Ist die Brut erfolgreich, kommen ein bis drei, in sehr seltenen Fällen auch vier Jungvögel zum Ausfliegen.
Ab Ende August beginnt der Wegzug aus dem angestammten Brutgebiet. Frühestens im Alter von drei Jahren können die Vögel für eigenen Nachwuchs sorgen.

Allgemeine Bestandsentwicklung in Deutschland
Noch im 19. Jahrhundert waren Fischadler in Mittel- und Westeuropa, so auch in Deutschland, weit verbreitet. In der Provinz Brandenburg galten sie um 1870 als häufig und brüteten mitunter kolonieartig. Das sollte sich jedoch bald ändern. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Art fast überall ausgerottet. Abschuss, Eierdiebstahl und Vertreibung spielten eine entscheidende Rolle.
Erst ab den 1930er und 1940er Jahren setzte, nicht zuletzt aufgrund strenger Schutzmaßnahmen, eine langsame Erholung des Bestandes ein.
Nach dem Ende des 2. Weltkrieges machten sich jedoch zunehmend moderne Übel bemerkbar. Eine intensivere Nutzung der Landschaft, wie Zersiedlung, Zerschneidung, allgemeine Beunruhigung nahm den Tieren ihren Lebensraum.

Ab 1963 galt denn auch der Bestand in den alten Bundesländern als erloschen.

Lediglich auf dem Gebiet der ehemaligen DDR hielten sich kleinere Vorkommen.

Die Pestizitära führte jedoch auch hier zu einer dramatischen Situation. Als Folge des Einsatzes von DDT-haltigen Präparaten in Land- und Forstwirtschaft traten vermehrt Unfruchtbarkeit und Dünnschaligkeit der Eier auf. Erst mit dem Verbot dieser Mittel erholte sich der Bestand, wenn auch zunächst zögerlich
Aktuell brüten in Deutschland wieder rund 460 Fischadlerpaare (D. Schmidt, mündl.), mit Abstand die meisten von ihnen in Brandenburg und Mecklenburg/Vorpommern. Diese Bundesländer und hier ganz speziell die Müritzgegend sowie das Neuruppin-Rheinsberg-Fürstenberger Wald- und Seengebiet stellen Verbreitungsschwerpunkte in Mitteleuropa dar. Allein in der Region Potsdam waren es 2003 116 Brutpaare mit 205 ausgeflogenen Jungvögeln.

Diese Zahlen verdeutlichen die besondere Verantwortung für die Entwicklung des mitteleuropäischen Bestandes. Erfreuliche Nachwuchsraten unserer Adler ermöglichen nach und nach die Wiederbesetzung ehemaliger Brutgebiete. So gibt es beispielsweise seit Beginn der 90er Jahre Ansiedlungen in Niedersachsen und Bayern. Allerdings verläuft die Entwicklung nur sehr langsam, da sich geschlechts-reife Tiere normalerweise nicht sehr weit entfernt vom Geburtsort ansiedeln.

Wissenschaftliche Begleitung der Bestandsentwicklung
Seit 1990 wird im Rahmen des Projektes Fischadler verstärkt geforscht, werden Strategien für Schutz, Erhaltung und Ausbreitung der Art entwickelt. Projektleiter ist Dr. Daniel Schmidt vom NABU- Vogelschutzzentrum Mössingen in Baden-Württemberg. Wichtiger Bestandteil der Bemühungen ist seit nunmehr zehn Jahren ein Farbringprogramm. Ziel ist es dabei, möglichst viele Nestlinge mit Farbkenn-ringen, die mit einer Buchstaben- Zahlen-Kombination versehen sind, zu markieren. Dem geübten Beobachter ist es dann mit Hilfe eines Spektivs möglich, derart markierte Adler zu identifizieren und das europaweit. Für jeden erfassten Vogel können so im Laufe seines Lebens viele Beobachtungsergebnisse zusammen-getragen werden.
Im Rahmen seiner Forschungstätigkeit hat Dr. D. Schmidt auch im Altkreis Neuruppin sehr viele Adler beringt. Unterstützt wurde er dabei von Paul Sömmer von der Naturschutzstation Woblitz sowie von Günter Lohmann aus dem Kreis Potsdam- Mittelmark. Da sich gerade die Baumhorste oftmals in mindestens 30 m Höhe befinden, sind diese Aktionen nicht ganz ungefährlich. Auch geübte Kletterer mit solider Ausrüstung müssen viel Kraft und Zeit aufwenden. Beringungen bleiben aber ohne praktischen Wert, wenn die Ablesung unterbleibt. Im Altkreis Neuruppin waren Henry Lange und Dr. D. Schmidt am erfolgreichsten in dieser, viel Geduld erfordernden, „Disziplin“.

Ein typisches Beispiel aus der Saison 2004: Raum Rheinsberg, Kiefer, ♀ links, schwarz B 48


Jungvogel mit Farbkennring
sowie Ring der Vogelwarte Hiddensee
Auf gut deutsch heißt das: Das Weibchen eines bestimmten Brutplatzes bei Rheinsberg trägt am linken Fuß einen schwarzen Kennring mit der Buchstaben-Zahlen-Kombination B 48. Beringt wurde es im Kunsthorst auf einem 20 KV-Strommast bei Wredenhagen/Müritz. Farbringe am linken Fuß weisen generell auf Mastbruten hin.
Bei einer Fülle an Daten und neuen Erkenntnissen verwundert es nicht, dass der Fischadler zu den am gründlichsten erforschten Vogelarten zählt. Viele wissen-schaftliche Publikationen belegen dies in eindrucksvoller Weise. Dr. D. Schmidt gilt inzwischen weltweit zu den profiliertesten Kennern der Art. So gesehen, machen unsere ostprignitz-ruppinschen Fischadler Wissenschaftsgeschichte.

Erfassung und Bestandsentwicklung des Fischadlers im Altkreis Neuruppin
1981 begann der Rheinsberger Ornithologe Hans-Jürgen Gerndt sich gezielt mit dieser Art zu befassen. Er gehörte damals der Fachgruppe Naturschutz Neuruppin im Kulturbund der DDR an.
Lediglich im wald- und gewässerreichen Norden des Altkreises, wo die Fischadler wohl nie ganz verschwunden sind, fand H.-J. Gerndt zunächst ein Brutpaar, welches zwei Junge großzog. Mehrere Jahre schien der Bestand zu stagnieren.
Erst 1984 konnte ein Brutplatz am Rand des Linumer Teichgebietes entdeckt werden. Regelmäßige Beobachtungen in den Vorjahren deuteten allerdings auf eine bevorstehende Ansiedlung hin. Nun waren es immerhin schon fünf Paare.
Bemerkt werden muss allerdings, dass bis zur politischen Wende 1989 auch einige wenige Horste im Staatsjagdgebiet zwischen Rheinsberg und Lindow/Zippelsförde existierten. Die Mitteilung von zuverlässigen Informationen war in diesen Fällen stets vom Wohlwollen der jeweils Verantwortlichen abhängig.
Ab der Brutsaison 1987 übernahmen beide Autoren die Betreuung des Fischadler-bestandes.
Dem allgemeinen Trend folgend, stieg die Zahl der Brutpaare Anfang der 90er Jahre sehr deutlich an. Die Adler besiedelten praktisch alle Gebiete mit nahrungsreichen größeren Gewässern. Durchaus positiv wirkten sich bestandsfördernde Maßnahmen, wie das Anbieten von Kunsthorsten aus. Seit 1999 verharrt der Bestand auf relativ hohem Niveau, Schwankungen inbegriffen. Als Spitzenjahre gelten 2001 und 2003 mit jeweils mindestens 61 ausgeflogenen Jungvögeln.


Ausgewählte Angaben über die Bestandsentwicklung
von 1984 bis 2004
Jahr BPa* BPm* Jungenanzahl
1984 5 1 1
1985 6 2 3
1986 6 1 2
1987 5 4 5
1988 5 4 5
1989 6 5 12
1990 7 6 12
1991 7 6 13
1992 10 7 16
1993 12 11 20
1994 19 13 20
1995 23 16 35
1996 22 18 38
1997 24 21 50
1998 26 22 45
1999 27 26 52
2000 38 31 56
2001 31 29 61
2002 33 27 41
2003 32 27 61
2004 31 27 46 (50)
Summe 594
*) BPa - anwesendes Brutpaar, BPm - Brutpaar mit Nachwuchs



Schutz und Gefährdung
Fischadler genießen den besonderen Schutz des Gesetzes und gelten darüber hinaus in der Roten Liste der Greifvögel des Landes Brandenburg als gefährdet (Kategorie 3).
Horstschutzzonen sorgen im Radius von 300 m um den Horst für Ruhe während des Brutgeschehens. Dies betrifft vor allem die forstwirtschaftliche Tätigkeit.
Enge Verbündete der Horstbetreuer sind deshalb die Ämter für Forstwirtschaft, vor Ort naturgemäß durch unsere Revierförster vertreten sowie in zunehmenden Maße auch private Waldbesitzer. Ohne naturverträglichen Waldbau, in dem Bäume auch die Chance haben alt zu werden, funktioniert Adlerschutz nicht. Fischadler stellen insgesamt keine allzu hohen Ansprüche an den Nistplatz, wenn nur genügend alte und hohe Bäume, möglichst in exponierter Lage, vorhanden sind.
Wenn von guter Zusammenarbeit die Rede ist, darf das Energieversorgungsunter-nehmen E.DIS nicht unerwähnt bleiben. Die Verantwortlichen für die „Stahlbäume“ haben stets ein offenes Ohr für den Adlerschutz und helfen wo sie können.
Um Verluste während der Brutzeit zu vermeiden, werden absturzgefährdete oder bereits abgestürzte Naturhorste durch Kunsthorste ersetzt bzw. es werden spezielle Unterlagen montiert. In der Regel akzeptieren Fischadler diese Angebote sehr schnell. Neuerdings kommt eine horstüberragende Sitzkrücke hinzu. Zwei gute Gründe gibt es für diesen Mehraufwand. Erstens nutzen die Adler sehr gern diesen Kunstast, bietet er doch freie Sicht nach allen Seiten, zweitens kann der Beobachter relativ problemlos den Farbkennring ablesen. Erinnert sei an dieser Stelle an das Fischadlerprojekt.
Mit der Errichtung von Kunsthorsten lässt sich überdies bis zu einem gewissen Grade die Ausbreitung der Art positiv beeinflussen.
Direkte menschliche Verfolgung blieb in heutiger Zeit bei uns die Ausnahme. Alle Totfunde werden stets sorgfältig, auch auf Schussverletzungen, untersucht. Lediglich ein Fall wurde bisher bekannt.
Am 08.08.1996 barg der Flecken Zechliner Fischer M. Gehrt aus einem Stellnetz im Wummsee einen toten Fischadler. Bei der obligatorischen Röntgenuntersuchung ent-deckten die Tierärzte im Körper des ca. zwei Jahre alten Vogels drei Schrotkugeln, eine davon im Kopfbereich. Da es sich um eine relativ frische Verletzung handelte, konnte davon ausgegangen werden, dass das Tier in der Region beschossen wurde.
Ganz anders stellt sich die Situation während des Zuges dar. Nicht wenige Adler fallen in südlichen Ländern den Jägern zum Opfer.
Hauptproblem bei uns ist die nach wie vor wachsende Inanspruchnahme von Landschaft.
Trotz des Reichtums an Seen, sind die optimalen Brutplätze im Uferbereich nur noch selten verfügbar. Zunehmende Beunruhigung der Gewässer, vor allem durch den boomenden Wassertourismus, lässt für die Zukunft nichts Gutes ahnen. Schon heute erinnert manchenorts nur noch die Bezeichnung Adlerbucht daran, dass hier einmal ein Horst stand.

Ausblick
Die insgesamt erfreuliche Entwicklung des Bestandes während der letzten zwanzig Jahre darf keinesfalls zur Sorglosigkeit führen.
Sollte sich die Tourismusentwicklung weiterhin nach dem Motto „Konzeptionslosigkeit heißt das Konzept“ fortsetzen, ist kaum mit einem Anstieg der Brutpaare zu rechnen.
Stagnation oder Rückgang führt dazu, dass sich die Wiederbesiedlung ehemaliger Lebensräume verlangsamt oder gar nicht erst erfolgt.
Dabei sollte artenreiche, intakte Natur ein wichtiger Standortvorteil sein.
A und O für das Überleben vieler Arten im Allgemeinen sowie der Fischadler im Besonderen ist also zweifellos der Schutz der Landschaft vor Zersiedlung, Zerschneidung und steter Beunruhigung.
An diesen Kriterien wird sich die Wirksamkeit der Naturschutzpolitik unseres Landes messen lassen müssen.
Der derzeitig praktizierte Weg des Minimalismus ist jedenfalls der falsche Weg.

Mitstreiter gesucht
Es ist nicht immer einfach, die vielfältigen Aufgaben in ehrenamtlicher Tätigkeit zu bewältigen. So manches Mal wünscht man sich eine Verstärkung des Horstbetreuer-team.
Wer auf den Geschmack gekommen ist und sich ernsthaft im Adler bzw. Greifvogel-schutz engagieren möchte, kann sich gern an die unter Kontakt aufgeführte Anschrift wenden.

Die Autoren erfassen und betreuen im Auftrag des Landesumweltamtes Brandenburg die Arten See- und Fischadler im Altkreis Neuruppin



Quellen und Literatur

Arbeitsgemeinschaft Berlin-Brandenburgischer Ornithologen (ABBO) 2001: Die Vogelwelt von Brandenburg und Berlin. Natur & Text in Brandenburg GmbH, Rangsdorf.

Ewert, B., Gerndt, H.-J., Lange, H. (1981-2004): Fischadlerberichte für den Altkreis Neuruppin

Génsbøl, B., Thiede, W. (1986): Greifvögel. BLV Verlagsgesellschaft München, Wien, Zürich.

Kleinschmidt, O. (1934): Die Raubvögel der Heimat. Verlag von Quelle & Meyer, Leipzig.

Kostrzewa, A.& Speer, G. (2001 Hrsg.): Greifvögel in Deutschland. Aula-Verlag Wiebelsheim.

Rutschke, E. (1983 Hrsg.): Die Vogelwelt Brandenburgs. VEB G. Fischer Verlag Jena.

Schmidt, D. (1993): Zur Nisthabitatstruktur des Fischadlers (Pandion haliaetus) in Mittel- und Nordwesteuropa. Diplomarbeit, Universität Freiburg.

Fotos (3) Dr. Daniel Schmidt

 

 

 

 

 

 

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